In den späten 1990er Jahren hatte sich die Berliner Rave-Szene als Mekka für DJs und Musikproduzenten etabliert. Die Stadt war auch ein fruchtbarer Boden für aufkeimende Underground-Kunstbewegungen. In dieser Gemeinschaft von Kellerpartys und Lagerhaus-Raves wurde die Arbeit von Pfadfinderei, dem deutschen Designkollektiv, aufgetaucht.
Die provokante Kunst auf lokalen Rave-Flyern inspirierte die Gruppe dazu, ihre eigenen Designs zu entwerfen. Codec Völker, eines der Kernmitglieder der Pfadfinderei, sagt, dass Farbe und Typografie von Anfang an untrennbar mit ihrer Identität verbunden waren. Der Name, der übersetzt Pfadfinder bedeutet, wurde nicht zufällig gewählt. "Zu der Zeit, als wir uns 'Pathfinders' nannten, waren wir sehr an kühnen, grafischen Designs interessiert. Im Geiste eines gesunden Wettbewerbs mit konkurrierenden Designern entwickelte die Pfadfinderei eine Crew und fand sich bald inmitten einer künstlerischen Bewegung in Berlin wieder.
Der minimalistische, geometrische Stil der Pfadfinderei trat erstmals in den Vordergrund, als die Gruppe Plattenhüllen für BPitch-Steuerungdas Plattenlabel von Ellen Fraatz, einer Freundin und Kollegin aus Berlin. Fraatz, die unter dem Pseudonym Ellen Allien auflegt, lernte das Kollektiv auf der Tanzfläche kennen, bevor sie anfing, Platten zu mixen. Nach dem Fall der Berliner Mauer waren Clubs wie das E-Werk berühmt für ihre erfrischenden Tanzflächen, die von Jugendlichen aus Ost und West bevölkert wurden. Für Fraatz ist es "dieselbe Erfahrung in der Stadt, die es einfach macht, zusammenzuarbeiten". 1998 gründete Fraatz ihr zweites Plattenlabel und die Pfadfinderei tat sich zusammen, um ihr Designkollektiv zu gründen.
Entwurf für Freak, Ellen Alliens EP von 2014.
Heute ist die Pfadfinderei ein siebenköpfiges Designteam mit einer Kundenliste, die elektronische Acts wie Tale of Us und Paul Kalkbrenner sowie Marken wie Lacoste und Netflix umfasst. Fraatz hat ihr Plattenlabel zu einer festen Größe in der Branche mit einer lokalen Basis gemacht; BPitch Control war von Anfang an eine Plattform für die Berliner Techno-Gemeinde. Künstler wie Sascha Ring von Apparat sowie Gernot Bronsert und Sebastian Szary von Modeselektor haben das Wachstum der Branche aus erster Hand erfahren.
Bronsert sagt, dass das Duo den Einfluss der Stadt auf ihre Musik nicht immer bedacht hat. Aber rückblickend ist er nicht zu übersehen. "Die Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1989 war das Ereignis, das neue Bewegungen hervorbrachte", sagt Bronsert. "Wir wurden genau in dieser Zeit geboren - ein ziemlicher Glücksfall." Wie andere Künstler auf BPitch Control hat die Musik, die sie produzierten, dazu beigetragen, die frühen Entwürfe der Pfadfinderei ins rechte Licht zu rücken.
Vor der Zeit der MP3s und der Online-Musikkultur waren Plattenhüllen ein wichtiges Medium, um die Stimmung eines Albums oder einer Single zu vermitteln. "[Fraatz] vertraute uns und gab uns eine Plattform", sagt Honza Taffelt, ein weiteres Gründungsmitglied der Pfadfinderei. Wenn die von ihnen entworfenen Hüllen in Plattenläden auf der ganzen Welt zu sehen waren, brachte das nicht nur mehr Aufmerksamkeit für die Entwürfe des Kollektivs, sondern bot auch die Möglichkeit, zu wachsen.
Im Jahr 2000 begann die Gruppe, ihre eigene wöchentliche audiovisuelle Veranstaltungsreihe in Berlin zu veranstalten, das Labland. "Wir wollten nicht nur eine Tanzfläche haben", sagt Taffelt. "Wir dachten, es sollte mehr audiovisuelle Performances geben." Fünf Jahre lang wurde das Labland zu einem Ritual am Donnerstag in Berlin. Es war auch eine der wichtigsten Bildungsressourcen der Pfadfinderei. "Wir haben viel über Emotionen und Rauminstallationen gelernt, ohne einen direkten Kunden zu haben, nur durch diese Erfahrung", sagt Völker.
Designs für Moderat-Alben II (2013) und III (2016).
Wenn Pfadinfderei ihre Live-Show aufführten, saßen mehrere Mitglieder hinter den Reglern. "Wir hatten einen alten analogen Videomixer und während der DJ von einer Platte zur nächsten wechselte, haben wir unsere Laptops überlagert. Völker sagt, es war wie visueller Jazz. "Wir haben ein paar Programme geschrieben, mit denen man auf dem Laptop wie ein Klavier spielen und ein Quadrat im Takt springen lassen konnte." Schließlich nahmen sie die Archive von diesen Donnerstagen auf und veröffentlichten sie auf DVD. Das Projekt enthielt auch das Debütalbum von Modeselektor, das in keinem anderen Format veröffentlicht wurde.
Das Hin und Her bei der Arbeit mit digitalen Technologien hat die Karriere der Pfadfinderei von Anfang an geprägt. Obwohl das Kollektiv offen für den technologischen Fortschritt ist, zögert es, sich von seinen Werkzeugen abhängig zu machen. Für Live-Shows bedeutet das mehr künstlerische Autonomie und weniger technische Unterstützung.
"Man kann etwas programmieren, das wie der iTunes-Visualizer zehn Stunden lang läuft, und es wäre immer synchron", sagt Völker. "Aber dieser menschliche Faktor, zu dem auch Fehler gehören - wie wenn man den falschen Knopf drückt und plötzlich alles weiß wird - ist für uns unerlässlich." Die Pfadfinderei hat inzwischen mehr Erfahrung und solche Fehler passieren seltener. Letztes Jahr tourten sie zum dritten Mal mit Moderat, der Berliner Supergruppe aus Mitgliedern von Modeselektor und Apparat, durch die Welt.
Der Stil der Pfadfinderei zeichnet sich dadurch aus, dass Licht und Raum im Mittelpunkt stehen und manchmal sogar als Medium genutzt werden. "Eine Leinwand hat viele Möglichkeiten, man könnte einen Berg mit winzigen Details zeigen, aber wir zeigen nur einen weißen, hüpfenden Block", sagt Völker. Es ist ein eindeutig geometrischer Ansatz, der nicht nur von deutschen, sondern auch von schweizerischen, französischen und russischen Designschulen inspiriert ist, so Taffelt. "Ob Oskar Fischinger oder Len Lye, wir haben einen neuen deutschen oder europäischen Ansatz", sagt er. Wie ihre Einflüsse hat auch die Pfadfinderei ein Nischenpublikum gefunden.
Moderat auf Tournee im Jahr 2016, mit visueller Leitung durch die Pfadfinderei.
Mit ihrer visuellen Arbeit, die nur bei Live-Shows zu erleben ist, schaffen die Pfadfinderei ein künstlerisches Umfeld, das auf Vergänglichkeit basiert. Wie bei ihren experimentellen Ausflügen in die audiovisuelle Kunst während der Labland-Ära entsteht auch bei ihrer Live-Performance kein Produkt. "Es ist für eine Nacht da und verschwindet dann wieder", sagt Völker.
Als visuelle Regisseure der Welttournee 2017 von Moderat, zur Unterstützung ihrer Live Album waren die Pfadfinderei für alle Aspekte des Auftritts der Gruppe verantwortlich. Ob sie Bilder projizieren oder Instrumente und Künstler auf der Bühne platzieren, Bronsert sagt, dass das Kollektiv eine einzigartige Art hat, Bilder mit Sound zu verbinden. Obwohl Pfadfinderei nicht mehr mit Super8-Loops oder Panasonic VHS-Mischern und -Projektoren auf der Bühne stehen, sind sie sich der veränderten Rolle der Technologie in ihrem kreativen Prozess bewusst.
Die Pfadfinderei hat das Jahr 2018 mit einem ortsspezifischen Video begonnen, das am 1. Januar im Berghain installiert wurde. Unter dem Titel WeisheitDas Video zeigt eine sanftere Version des berüchtigten Berliner Clubs, untermalt von William Basinskis Kaskade. Zu den weiteren aktuellen Plänen des Kollektivs gehört die Arbeit an einem DJ-Roboter mit künstlicher Intelligenz. "Das ist ein physischer Roboter, der tatsächlich Platten auflegen und tanzen kann", sagt Völker. Obwohl dies der erste Ausflug der Pfadfinderei in die Robotik ist, fügt er sich in ihre allgemeine Designphilosophie ein. "Wir haben viel künstlerischen Stolz", sagt Taffelt, "aber gleichzeitig haben wir kein Problem damit, zu unterhalten."
Alle Fotos von Moderat, einschließlich des Titelbildes, sind von Birgit Kaulfuss.
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